Möglichkeiten und rechtliche Grenzen der Fürsorge Dritter

Aus: Alzheimer Info 03/2008

Die Zahl der Demenzerkrankten steigt stetig und mit ihr auch die Zahl der allein lebenden Betroffenen. Sie sind in hohem Maße auf die Fürsorge und Aufmerksamkeit der Umgebung angewiesen. Doch oft herrscht im sozialen Umfeld Unsicherheit über die Möglichkeiten etwas zu tun, auch über die rechtlichen Grenzen, die das grundgesetzlich verankerte Selbstbestimmungsrecht setzt.
Beobachten z. B. Nachbarn die zunehmende Verwahrlosung und Verwirrtheit des verwitweten Nachbarn, der bei jedem Gespräch behauptet, es gehe ihm gut, er brauche keinen Arzt, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten sie haben, um dem offensichtlich hilfebedürftigen Mann zu helfen. Wenn Ihnen der Hausarzt des Betroffenen bekannt ist, ist dieser der erste Ansprechpartner.
Sie haben darüber hinaus die Möglichkeit, den Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) des Gesundheitsamtes – notfalls auch anonym – zu informieren und um Hilfe zu bitten (siehe auch den Artikel Seite 7). Die Tätigkeit und die Befugnisse des SpD sind in den einzelnen Bundesländern jeweils in Gesetzen „über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken (PsychKG)“ geregelt. Der SpD bietet Beratung und Hilfen für Menschen z. B. mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen an. Nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch Angehörige oder Nachbarn können sich an ihn wenden. Zu den weiteren Aufgaben gehören die Diagnostik im Sinne einer medizinischen Abklärung des Einzelfalls, sowie Hausbesuche, um die Situation in der Wohnung und dem näheren sozialen Umfeld persönlich kennen zu lernen und ggf. unmittelbar eingreifen zu können.

Letztendlich ist der SpD für die Koordination von Einzelhilfen zuständig. Unabhängig davon können die Nachbarn auch das Vormundschaftsgericht darüber informieren, dass der hilfebedürftige Nachbar möglicherweise unter einer Demenz leidet und eine rechtliche Betreuung eingerichtet werden sollte. Das Vormundschaftsgericht wird die weiteren Umstände ermitteln, die zur Einrichtung einer rechtlichen Betreuung gegeben sein müssen. Befindet sich der allein lebende Demenzkranke bereits in ärztlicher Behandlung, steht ggf. der behandelnde Hausarzt oder Neurologe vor der Frage, ob es ausreicht, dem Patienten allein die Diagnose mitzuteilen, da dieser eventuell keine Krankheitseinsicht zeigt und sich somit auch einer weiteren Behandlung verschließen könnte. Damit kann der behandelnde Arzt in Konflikt mit seiner ärztlichen Schweigepflicht geraten, bei deren Verletzung eine strafbare Handlung (gem. § 203 StGB) vorliegen kann. Das Arztgeheimnis dient dem Vertrauen zwischen Arzt und Patient und trägt der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und informationelle Selbstbestimmung Rechnung. 

Jedoch ergibt sich aus dem zwischen Arzt und Patienten bestehenden Behandlungsvertrag auch eine gewisse Fürsorgepflicht des Arztes gegenüber seinem Patienten. Dieses Dilemma hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1968 erkannt (Entscheidung abgedruckt in NJW 1968, S. 2288-2291). Danach überwiegt die Fürsorgepflicht des Arztes gegenüber dessen Schweigepflicht dann, wenn durch das Schweigen ein „höherwertiges Rechtsgut“ gefährdet würde. Mit anderen Worten: Sieht der Arzt eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens des Patienten oder auch dritter Personen (z. B. wenn der Patient Auto fährt, obwohl er nicht mehr fahrtüchtig ist), und kann der Arzt den Patienten nicht dazu bewegen, sich anderweitig helfen zu lassen, ist er berechtigt, unter Verletzung seiner Schweigepflicht Informationen über das Krankheitsbild an den SpD oder das Vormundschaftsgericht, ggf. auch an die Straßenverkehrsbehörde, weiter zu leiten.

Bärbel Schönhof, Assessorin jur., Bochum

Alzheimer Info

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