Demenz in Zeiten von Corona
Alzheimer Info: Ausgabe 2/2020
Seit Anfang März das Corona-Virus in Deutschland Einzug gehalten hat, hat sich das Leben für alle drastisch verändert. Kulturelle Veranstaltungen, Feste und Messen sind abgesagt, Geschäfte darf man nur noch mit Einlasskontrollen betreten und vor allem gilt es, Abstand zu halten zu allen, mit denen wir nicht unter einem Dach leben. Besonders gravierend sind die Einschnitte für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Noch ist nicht absehbar, wann wir wieder eine Normalität erleben werden, wie sie vor Ausbruch des Corona-Virus für uns selbstverstänlich war. In der Beratung am Alzheimer-Telefon geht es seit März in rund der Hälfte der Gespräche um Fragen, die im Zusammenhang mit Corona stehen.
Menschen mit Demenz Corona erklären
Je nach Stadium der Erkrankung verstehen Menschen mit Demenz mehr oder weniger gut, warum die Einschränkungen und Veränderungen des Alltags notwendig sind. Angehörige können versuchen, es zu erklären. Dabei kann das Informationsblatt zu Corona hilfreich sein, das die DAlzG entwickelt hat und auf ihrer Internetseite zur Verfügung stellt. Aber auch wenn ein Verstehen nicht möglich ist, reagieren viele Erkrankte beunruhigt auf die Situation. Dann ist es besonders wichtig, dass Angehörige beruhigen, Sicherheit vermitteln und bei Bedarf für eine Ablenkung sorgen.
Auswirkungen auf die häusliche Situation
Viele Angehörige wurden von den Schließungen der Tagespflegen ab dem 16. März 2020 überrascht. In manchen Bundesländern wurde eine Notbetreuung eingerichtet, die aber nur in Einzelfällen in Anspruch genommen werden konnte. Dies bedeutete für berufstätige Angehörige oft, dass sie sich kurzfristig frei nehmen, bezahlten oder unbezahlten Urlaub einreichen mussten – und dabei auf das Entgegenkommen ihrer Arbeitgeber angewiesen waren. Im Unterschied zu berufstätigen Eltern von betreuungsbedürftigen Kindern hat die Politik keine Regelungen getroffen, um pflegende Angehörige in dieser Situation zu entlasten. Dies hat die DAlzG mehrfach sowohl beim Gesundheits- als auch beim Familienministerium angemahnt. In einer Stellungnahme zum 2. Bevölkerungsschutzgesetz hat die DAlzG außerdem zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass das Budget für die Tagespflege den Betroffenen in dieser Situation flexibel für andere Unterstützungsangebote oder auch für den Verdienstausfall der Pflegenden zur Verfügung gestellt werden sollte. Ein Beispiel aus der Beratung: „Ich lebe in Hannover, bin soloselbstständig (habe also auf unbestimmte Zeit kein Einkommen mehr), meine Mutter erhält Grundsicherung. Seit zehn Tagen pflege und betreue ich meine Mutter in der Nähe von Freiburg in Vollzeit und ALLEIN ohne irgendwelche Unterstützung. Der Ambulante Dienst, der sonst meine demenzerkrankte, Insulin-pflichtige Mutter viermal täglich versorgt hat, hat am 18. März alle Nachbarschaftshilfen abgesagt und mich – wegen Überlastung – gebeten, auch die medizinische Versorgung meiner Mutter zu übernehmen. Ich habe meine Existenz verloren und weiß nicht, wie lange meine Kraft reicht, meine Mutter auf unbestimmte Zeit allein zu betreuen.“
In vielen Fällen ist der Besuch einer Tagespflegeeinrichtung auch aufgrund der hohen Belastung durch die 24-Stunden-Betreuung eines an einer Demenz Erkrankten notwendig. Die pflegenden Angehörigen sind durch die Schließung der Einrichtungen – auf unbestimmte Zeit – mit diesen Anforderungen alleine gelassen. Hinzu kommt der Wegfall fast aller anderen Unterstützungsangebote wie Betreuungsgruppen oder ehrenamtlichen Helferinnen, die in die Wohnung kommen. Viele Alzheimer-Gesellschaften haben die Angebote ihrer Betreuungsdienste an die Situation angepasst. Sie unterstützen einerseits praktisch durch Hilfen beim Einkauf oder sonstigen Erledigungen. Andererseits bieten sie nun statt persönlicher Besuche zumindest entlastende Telefonate an und halten so den Kontakt weiter aufrecht. Regelungen zur Abrechnung solcher alternativen Entlastungsangebote über die Pflegekassen waren aber bis Redaktionsschluss leider nur in wenigen Bundesländern möglich. Mancherorts können Mitarbeitende aus der Tagespflege einzelne ihrer Gäste individuell betreuen. Dies kommt in erster Linie alleine lebenden Menschen mit Demenz zugute, für die eine Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst nicht ausreichend ist.
Auswirkungen auf das Leben im Heim
In den meisten Bundesländern sind zum Schutz der Bewohner und des Pflegepersonals weitgehende Besuchsverbote für Pflegeheime und auch Demenz-WGs erlassen worden. Während beispielsweise in Berlin und Rheinland-Pfalz Besuche aber weiterhin unter bestimmten Auflagen erlaubt blieben, wurde in Bayern für die Bewohner der Einrichtungen sogar ein Ausgangsverbot erlassen, sodass auch gemeinsame Spaziergänge mit den Angehörigen außerhalb der Einrichtungen nicht mehr möglich waren. Teilweise wurden die auf Länderebene getroffenen Einschränkungen auf kommunaler Ebene und durch einzelne Einrichtungen noch verschärft. So wurden vielerorts die Beschäftigungs- und Aktivierungsangebote innerhalb der Einrichtungen ausgesetzt und die Bewohner zum Teil völlig in ihren Zimmern isoliert, um die Zahl der Kontakte möglichst gering zu halten, obwohl keine Infektion mit dem Virus vorlag. Auch wenn viele Pflegeeinrichtungen sich bemüht haben, Kontaktmöglichkeiten auf telefonischem Weg oder per Videotelefonie zu schaffen, sind solche Angebote gerade bei fortgeschrittener Demenz oft nicht ausreichend. Die Erkrankten verstehen nicht, warum sie keinen Besuch von ihren Lieben mehr erhalten, fühlen sich alleingelassen und reagieren mit Trauer, Rückzug oder auch mit verstärkter Unruhe und aggressivem Verhalten. Ausnahmen von den Besuchsverboten waren zwar die ganze Zeit über in „sozial-ethisch“ begründeten Fällen in allen Bundesländern möglich. Da dies aber in den Regelungen nicht konkretisiert wurde, wurde diese Möglichkeit offenbar in der Regel nicht genutzt. In der Beratung am Alzheimer-Telefon war die Sorge der Angehörigen über die „Nebenwirkungen“ der Besuchsverbote deshalb ein sehr häufiges und drängendes Thema. Ein Beispiel: Eine Tochter berichtete, dass sie über die vergangenen vier Jahre ihre fast 100-jährige Mutter bei der abendlichen Körperpflege und dem Essen im Heim unterstützt hat, da die Einrichtung dies aufgrund der engen Personalsituation nicht hinreichend gewährleisten konnte. Mit Verweis auf Corona und die Ansteckungsgefahren wurde in der Einrichtung die Personalausstattung auch auf den Stationen mit Menschen mit Demenz reduziert und der soziale Kontakt deutlich eingeschränkt. Dies machte sich laut Berichten der Pflegekräfte insbesondere bei ihrer Mutter bemerkbar, die zunehmend kognitiv abbaut. Obwohl das Ministerium des Landes auf Nachfrage bestätigte, dass in dem Fall der Tochter ein ethisch-sozialer Einzelfall vorläge, lehnte die Heimleitung eine Ausnahme vom Besuchsverbot ab. Die DAlzG hat in einem Positionspapier Stellung genommen und fordert die Länder und die einzelnen Einrichtungen dazu auf, mit Augenmaß und an die Gegebenheiten im Einzelfall angepasst Konzepte zu entwickeln, wie der Kontakt zwischen demenzerkrankten Heimbewohnern und ihren nächsten Angehörigen trotz Corona ermöglicht werden kann. Eine Vielzahl von Informationen rund um Corona und Demenz – unter anderem einen kurzen Erklärfilm und ein Infoblatt – finden Sie auf unserer Internetseite www.deutsche-alzheimer.de. •
Susanna Saxl, DAlzG