Die Zulassung, die bisher nur in den USA erfolgt ist, ist umstritten, weil der klinische Nutzen nicht nachgewiesen ist. Nur in einer von zwei Studien verschlechterte sich der Gesundheitszustand bei den mit Aducanumab behandelten Teilnehmenden geringfügig langsamer als bei jenen, die über denselben Zeitraum ein unwirksames Scheinmedikament erhalten hatten. In der zweiten Studie war dieser Effekt nicht zu beobachten. Deshalb hat die FDA zur Auflage gemacht, eine weitere Studie durchzuführen, um die Wirksamkeit der Therapie und den Nutzen für die Betroffenen besser beurteilen zu können. Eine Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird erst gegen Ende des Jahres erwartet.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) sieht die Zulassung von Aducanumab zwiespältig. Einerseits verspricht dieser neue Ansatz einen Fortschritt bei der Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Sie gibt Betroffenen und ihren Familien die Hoffnung, dass das Fortschreiten der mit der Krankheit verbundenen kognitiven und funktionellen Beeinträchtigungen verlangsamt werden kann. Andererseits ist der Nutzen für die behandelten Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen nicht klar belegt.
Wichtig ist aus Sicht der DAlzG außerdem, klar zu kommunizieren, wer für eine Therapie mit dem Medikament, das unter dem Namen Aduhelm erhältlich ist, infrage kommt. Denn die Behandlung ist auf Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Demenz beschränkt. Darüber hinaus müssen im Gehirn der Patienten die Alzheimer-typischen Amyloid-Plaques nachgewiesen werden, was vor Beginn der Behandlung eine Lumbalpunktion oder einen Gehirnscan erfordert. Regelmäßige MRT-Untersuchungen können angebracht sein, um mögliche Nebenwirkungen wie Gehirnschwellungen zu überwachen. Diese sind in den vorliegenden Studien je nach Dosis bei einem Viertel bis einem Drittel der behandelten Personen festgestellt wurden. Behandlungswürdigkeit, Risiken, Nutzen und Kosten müssen daher unbedingt realistisch diskutiert werden, denn es ist davon auszugehen, dass die Kosten sehr hoch sein werden.
Dass mit Aducanumab nach 20 Jahren ein neues Medikament zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit in einem sehr frühen Stadium zur Verfügung steht, ist ein ermutigendes Signal und mit viel Hoffnung verbunden. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass eine Verlangsamung des Krankheitsprozesses – und um mehr geht es bisher nicht – die Krankheit und die mit ihr verbundenen Probleme selbst nicht aus der Welt schafft.
Möglicherweise gibt das neue Medikament den Betroffenen und ihren Familien mehr Zeit, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und sie mit größerer Selbstbestimmung zu gestalten. Gleichzeitig sind sie aber auch über einen längeren Zeitraum mit vielen Sorgen und Herausforderungen konfrontiert. Wir alle müssen uns daher weiter für diejenigen einsetzen, die mit einer Demenz leben und eine inklusive Gesellschaft und eine gute Versorgung benötigen. Die Forschung an anderen Therapieoptionen, auch in fortgeschrittenen Stadien der Alzheimer-Krankheit sowie bei anderen Formen der Demenz, muss fortgesetzt werden.