Fürth, 11. Oktober 2024. Am zweiten Tag des 12. Kongresses der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) diskutieren die rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Motto „Demenz: Hinsehen. Helfen. Handeln“ in Fürth zu vielfältigen Themen.
Partizipation ermöglichen
Zentrale Forderung im Symposium „Demenzstrategien in Bund und Land“ war die stärkere Einbindung von Menschen mit Demenz und Angehörigen in die Entwicklung von Demenzstrategien. Dazu ist es aber notwendig, Arbeitsprozesse zu überdenken und anzupassen, damit die Betroffenen auch tatsächlich mitwirken können und nicht an Strukturen scheitern. Hier werden auch die Profis fachliche Unterstützung benötigen. Dies gilt sowohl für die Nationale Demenzstrategie als auch für die Demenzstrategien, die auf Länderebene (weiter-)entwickelt und umgesetzt werden.
Hinsehen: Menschen mit beginnender Demenz und in jüngerem Alter
„Man muss sich bewusst machen, dass jedes Jahr mindestens 360.000 Menschen in Deutschland neu an einer Demenz erkranken. Bei allen beginnt die Krankheit mit wenig Beeinträchtigungen, aber nicht alle erreichen am Ende auch das schwere Stadium“, so Sylvia Kern, 2. Vorsitzende der DAlzG, die einen Workshop begleitete, der von Menschen mit Demenz selbst organisiert worden war. In der Diskussion berichteten Betroffene, die alle Mitglieder des Beirats „Leben mit Demenz“ der DAlzG sind, darüber, wie wichtig es für sie war, anderen Menschen mit Demenz zu begegnen, durch den Beirat eingebunden zu sein und aktiv zu werden. Rückmeldungen von Teilnehmenden am Ende des Workshops klangen beeindruckt: „Ich arbeite schon lange mit Menschen mit Demenz, aber nun muss ich meine Perspektive neu überprüfen.“ „Ich habe jetzt ein neues Bild von Menschen mit Demenz.“
Sigrid Wächter, Sozialarbeiterin in der Fachberatungsstelle Junge Demenz der LVR-Klinik Köln, begleitet aktuell rund 50 Familien. Das Alter der Erkrankten reicht von Anfang 40 bis 70 Jahre. Sie sprach darüber, welche Unterstützung Menschen mit Demenz in jüngerem Alter und ihre Familien benötigen. An erster Stelle forderte sie demenzsensible Arztpraxen, damit Betroffene nicht mit ihrer Diagnose konfrontiert werden, ohne gleichzeitig Hinweise auf Beratungsangebote zu erhalten. Es brauche eine längerfristige psychologische Begleitung für die erkrankten Personen und auch für die Angehörigen – oft sind minderjährige Kinder mitbetroffen. Hilfreich sei eine Vernetzung mit anderen Betroffenen, aber ganz wichtig sei es auch, dass eine gesellschaftliche Kultur des Willkommens geschaffen werde, in der Menschen mit Demenz mit Offenheit begegnet wird.
Helfen: Verbesserung der Versorgung zu Hause
Ein zukunftsweisendes Projekt in der ambulanten Versorgung stellte Jennifer Geyer von der Universität Halle vor. „Dementia Care Nurses“ sind speziell ausgebildete Fachkräfte, die in sechs Landkreisen in Sachsen-Anhalt eingesetzt wurden, um Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zu unterstützen. Sie besuchten die Betroffenen zu Hause und halfen je nach Bedarf beispielsweise bei der Beantragung eines Pflegegrads oder von Pflegehilfsmitteln, der Organisation eines Pflege- oder Betreuungsdienstes, Tagespflege oder Ergotherapie. Dadurch konnte die Versorgung wesentlich verbessert werden. Die genannten Aufgabenbereiche sind in anderen Bundesländern oftmals bei Pflegestützpunkten angesiedelt, die es in Sachsen-Anhalt allerdings nicht gibt. Die Ausbildung von Dementia Care Nurses könnte daher auch für andere Bundesländer ohne Pflegestützpunkte hilfreich sein. Allerdings gibt es bisher keine Regelfinanzierung für ein solches Angebot.
Handeln: Ein Pakt für die Pflege
Ulrich Wendte vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg stellte zusammen mit Sonja Köpf vom Kompetenzzentrum Demenz für das Land Brandenburg den „Pakt für die Pflege“ vor, der von allen wichtigen Akteuren im Land unterzeichnet und im Landtag verabschiedet wurde. Mit verschiedenen Maßnahmen soll die Pflege in Brandenburg auch angesichts einer abnehmenden Zahl von Pflegekräften auf eine sichere Basis gestellt und die Versorgung der Menschen verbessert werden. Ein Baustein ist das Förderprogramm „Pflege vor Ort“, mit dem gezielt Kommunen angesprochen werden, sich dem Thema zu stellen. Erster Schritt dabei ist die Festlegung einer zentralen Ansprechperson zum Thema Pflege, die um Beratungs- und Unterstützungsangebote weiß und weitervermitteln kann. Mit dem Förderprogramm können Projekte und Initiativen vor Ort unterstützt und verstetigt werden. Innerhalb von weniger als zwei Jahren haben sich in Brandenburg bereits 85 Prozent der Städte, Ämter und Gemeinden an dem Programm beteiligt – zum Beispiel mit kulturellen Projekten, Angeboten zum Austausch, Schulprojekten und Öffentlichkeitsarbeit. Das Kompetenzzentrum registriert einen deutlichen Anstieg von Unterstützungsangeboten, die auch direkt von den Kommunen organisiert werden, und auch mehr Angebote zum Thema Demenz. Allerdings müssen die Lösungen jeweils auf die Gegebenheiten vor Ort passend zugeschnitten sein.
Trauer zulassen
„Weiße Trauer“ bezeichnet die Trauer, die wir spüren, weil ein Mensch uns Stück für Stück verlässt, schon bevor er verstorben ist. Demenz wird oft als ein langer Abschied beschrieben. Wie wichtig es ist und wie viel Mut es braucht, sich dieser Trauer als Angehöriger zu stellen, darüber sprach Antje Koehler, Bildungsreferentin aus Köln. Ein wichtiger Punkt sei zu erkennen, dass Trauer ein Ausdruck von Liebe ist. „Denn wir trauern, weil wir lieben.“
Die Kraft der Natur nutzen
Im Symposium „Raus ins Grüne: Natur und Demenz“ ging es um verschiedene Ansätze, Menschen mit Demenz Naturerlebnisse zu ermöglichen. Ein Beispiel waren regelmäßige gemeinsame Spaziergänge in der Gruppe mit besonderem Augenmerk auf die umgebende Natur, ein anderes der Besuch von Streuobstwiesen, die über das Jahr unterschiedliche Eindrücke vermitteln und auch an Erinnerungen der Teilnehmenden anknüpfen und so Anregungen zu Gespräch und Austausch bieten.
Fürth tanzt
Mittags versammelten sich die Teilnehmenden des Kongresses auf dem Marktplatz in der Fürther Innenstadt und luden die Bürgerinnen und Bürger zu einem gemeinsamen Flashmob ein unter dem Motto „Begegnen – Bewegen – Berühren – Es ist nie zu spät!“
Am Samstagvormittag folgt die Abschlussveranstaltung des Kongresses mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Demenz und Einsamkeit“. Außerdem werden besonders herausragende und kreative Projekte ausgezeichnet und die Forschungsförderung der DAlzG vergeben.